WO!-Das Stadtmagazin | Wormatia Worms – Mehr denn je: Der Stolz der alten Stadt

31.10.2012

Sprachlosigkeit. Das war es, was nach dramatischen 120 Minuten plus Elfmeterschießen vorherrschte. Wer sich anschließend noch in die Vereinsgaststätte begab, der tat das, weil er den Frust runterspülen und nach dieser unfassbaren Dramatik noch nicht nach Hause gehen wollte, um dann mit dem ersten Schmerz alleine zu sein. Schon gar nicht, d

as eben Gesehene noch einmal in der Zusammenfassung in der „Sportschau“ ansehen. Morgen vielleicht, wenn der Schmerz der Erkenntnis gewichen ist, dass der VFR Wormatia Worms mehr als nur mit dem aufmunternd gemeinten „erhobenen Haupt“ den Platz verlassen hat. „Die bessere, die engagiertere Mannschaft hat verloren“, darüber gibt es keine zwei Meinungen. Oder hatte man in der Euphorie, die anfangs nur von den beiden Fanblöcken der Kölner und Wormser ausging, von Minute zu Minute aber immer mehr das ganze Stadion erfasste, die Leistung der Wormatia zu positiv, zu sehr durch die rosarote Brille gesehen?

Sechs Stunden später, denn die Nacht ist nach einem derartigen Adrenalin-Ausstoß naturgemäß kürzer, ein erster Blick in die Zusammenfassung der „Sportschau“. Und es war genau so, wie man es gegen halb elf am Abend zuvor empfunden hat, als der Kölner Kapitän Miso Brecko den entscheidenden Elfmeter zum 4:3 verwandelt und plötzlich die falsche Mannschaft gejubelt hat. Wenn es tatsächlich einen Fußballgott gibt, hat er bei diesem Spiel gnadenlos versagt. Zwar war der FC das Spiel von der ersten Minute an deutlich engagierter angegangen, als die bei 36 Grad Hitze ein paar Wochen zuvor noch etwas pomadig auftretenden Berliner. Und da die Geißböcke am Freitag noch in einer nervenaufreibenden Partie 3:3 gegen den 1.FC Kaiserslautern gespielt hatten, wollte man bei den zwei Klassen tiefer angesiedelten Gastgebern wohl schnell für klare Verhältnisse sorgen. Aber außer einem Abseitstor, das wohl kein Abseits war, und einem strammen 20-Meter-Schuss, der den souveränen Kevin Knödler im Wormser Tor vor keine größeren Probleme stellte, hatten die Kölner – abgesehen von einem optischen Übergewicht - nicht viel zu bieten. Der Underdog aus Worms stand diszipliniert in der Defensive, ließ wenig zu und spielte frech mit, ohne großartig für eigene Akzente sorgen zu können. Das sollte sich nach der Pause ändern, allerdings in eine Richtung, die wohl keiner erwartet hätte, denn jetzt waren es die Wormser, die mit zunehmender Spieldauer immer forscher wurden und einen glänzenden Pokalfight auf dem grünen Rasen ablieferten. Röser allein vorm Torwart, aber stark gehalten vom jungen Kölner Keeper Horn. Wieder Röser, der aber zu überhastet aus 20 Metern in den Abendhimmel schießt. Von Köln kommt nichts. Der Zweitligist hat gegen den Regionalligisten nichts entgegen zu setzen. Torchancen Mangelware, während die Wormser Mannschaft, angetrieben von genauso entfesselten Zuschauern, selbst ihre Chance sucht, läuferisch und spielerisch über sich hinaus wächst.

Keine Ausfälle in der Mannschaft
Wer hätte das vor dem Spiel gedacht? Der komplette erste Sturm im Krankenstand, so dass es gegen die Kölner auf den Außen der ungemein schnelle Jacob Ammann und Scipon Bektasi, der sich in Sachen Einsatz und Leistungsbereitschaft an diesem Abend unsterblich für die Fans gemacht haben dürfte, richten sollen. Beide machen womöglich ihr bestes Spiel im Trikot der Wormatia, wie so viele an diesem Abend. Der oftmals etwas ungelenk wirkende 1,96 Meter-Mann Marco Steil liefert in der Abwehr eine fantastische Partie ab und erinnert - ein wenig wie Per Mertesacker - ein ums andere Mal an den Turm in der Schlacht, an dem keiner vorbeikommt. Kapitän Sandro Rösner ist wie immer ein Musterbeispiel an Einsatzbereitschaft, Kevin Wittke läuferisch und kämpferisch ganz stark und doch später einer der tragischen Helden. Marcel Abele, Martin Röser, Chris Böcher, Tim Bauer, Daniele Toch – sie alle reißen Kilometer um Kilometer runter und je mehr sich die Gewissheit im weiten Rund des Wormatia Stadions breit macht, dass sich da zwei Teams eine Pokalschlacht auf Augenhöhe liefern, umso mehr schwappt die Welle der Euphorie aufs Feld zurück, während es im Kölner Fanblock im Laufe des Spiels merklich ruhiger geworden ist. Als der Schiedsrichter nach 90 Minuten abpfeift, weiß jeder, dass man ab jetzt eigentlich nur noch gewinnen kann. Bis hierhin bereits eine klasse Partie abgeliefert und den Respekt von Fußballdeutschland verdient, jetzt wollte man zu gerne noch eine Zugabe. In der Sportschau wird der Kommentator später sagen: „Jetzt herrschte hier Volksfeststimmung.“ Und immer wieder schwappten die „VFR-Rufe“ vom Fanblock zur Gegengerade und wieder zurück. Ein Stück Anfield Road an der Alzeyer Straße. Großartig.

Unvergleichliche Atmosphäre
Gänsehaut pur, und das gewiss nicht das erste und letzte Mal an diesem Abend, als in der Schlussphase minutenlang „Schalalalalalala – Wormatia Worms“ durch das weite Rund des Stadions schallte, so glücklich wie Fußballfans nun mal singen können, wenn sie spüren, dass eine Sensation in der Luft liegt. Wenn der Underdog immer mutiger wird, die zweite Luft bekommt und der haushohe Favorit längst nicht mehr so stark und übermächtig wirkt wie noch in den ersten 20 Minuten. Das Ding war längst gedreht. Mehr noch: der Favorit taumelte wie ein angeschlagener Boxer in die Pause vor der Verlängerung. Die Wormatia legte los wie die Feuerwehr. Klasse Pass von Bauer auf Oppermann, der war zuvor 7 Wochen verletzt und für Toch eingewechselt worden. Normalerweise macht er solche Buden, frei vorm Torwart, mühelos. Heute kullert der Ball Zentimeter am langen Pfosten vorbei und das wird gleichzeitig DIE Schlüsselszene dieser Verlängerung sein. Da war sie die große Chance, der Favorit hat gewankt, aber er ist eben nicht gefallen. Nur kurz später erneut Pass in die Tiefe zu Oppermann, der abermals frei vorm Kölner Keeper auftaucht, aber der Schiedsrichter hat auf Abseits entschieden – und er liegt damit erneut falsch. Das wäre womöglich die Entscheidung gewesen und dürfte als ausgleichende Gerechtigkeit für das nicht gegebene Abseitstor der Kölner in der Anfangsphase herhalten.

Elfmeterschießen…
Wenn jeweils fünf Spieler von jeder Mannschaft sich vom Elfmeterpunkt aus duellieren, liegen Glück und Tragik selten so eng beieinander. Und doch hoffte jeder in den Reihen der Wormser Fans, dass sich die Dominanz und der unbedingte Siegeswillen, den man zuvor auf dem Rasen gesehen hatte, bei diesem Lotteriespiel fortsetzen würden. Dass es, wenn es ein Funken Gerechtigkeit gibt, heute nur einen Sieger geben würde. Forscher Beginn, Kapitän Rösner jagt den Ball wuchtig in den Winkel, ebenso Tim Bauer, der den zweiten mit ordentlich Wumms unter die Latte torpediert. Die Kölner verwandeln ebenfalls sehr sicher. Kevin Witte läuft an und die Körpersprache verrät schon viel. Ein harmloser Schuss ins rechte Eck, Horn taucht ab, Köln verwandelt, ist 3:2 vorne. Marco Steil versenkt seinen Elfer genauso so souverän, wie er zuvor 120 Minuten lang agiert hat. Der vierte Elfer der Kölner landet am Pfosten, ein Freudenschrei durchzuckt den Wormser Anhang, leider zum letzten Mal an diesem Abend. Da auch Abele seinen an sich sehr couragiert geschossenen Elfmeter an die Latte knallt und der Kölner Brecko den Todesstoß setzt, herrscht lähmendes Entsetzen im Wormatia Stadion. Aber wer mag in dieser Situation schon Schuldzuweisungen machen? Ein Spiel, das über seine gesamte Dauer stets auf Messers Schneide stand, konnte nur einen Sieger haben, der ein klein wenig mehr Glück hatte. Und das waren eben die Kölner. Nach der ersten Schockstarre, nachdem die ersten Gedanken wieder sortiert waren, hallte es dann ein letztes Mal von den Rängen: „Steht auf, wenn ihr Wormser seid!“

Ja, man kann sich für schöne Komplimente nichts kaufen, schon gar nicht den mit knapp einer halben Million Euro dotierten Einzug in die nächste Pokalrunde. Ja, es tut weh, wenn man so kurz davor ist und dann doch scheitert. Ja, man wird den 1.FC Köln vermutlich nie mehr so nah am Rand einer Niederlage haben wie diesmal. Ja, es war ein (fast) perfektes Fußballfest und eine fantastische Werbung für Worms, da die großartige Atmosphäre auch im Fernsehen gut rüberkam. Mannschaft und Zuschauer brauchen sich keinen Vorwurf zu machen, denn beide haben alles gegeben, um das Unmögliche möglich zu machen. Respekt, das war ganz großes Kino, meine Herren!! Wir sind stolz auf unser Team - zum glücklich sein hat es an diesem Abend leider nicht ganz gereicht.