FAZ | Zwischen Nibelungen und Fußball

29.10.2012

Unter Trainer Ronald Borchers, einst im Trikot der Frankfurter Eintracht in der Bundesliga unterwegs, ist die Wormatia in Worms wieder gesellschaftsfähig geworden. Im DFB-Pokal tritt sie an diesem Dienstag (19.00 Uhr) gegen Köln an. Von Hartmut Scherzer

Die Nibelungen und Martin Luther haben Worms berühmt gemacht. Der romanische Kaiserdom ist das Wahrzeichen der Stadt und die Attraktion für Touristen, die aus aller Welt zu den alljährlichen Nibelungen-Festspielen anreisen. Als wären die Titel Nibelungen- und Luther-Stadt nicht Ruhm genug, wetteifert Worms mit Augsburg, Kempten, Regensburg und Trier noch um die Ehre, älteste deutsche Stadt zu sein. Worms nur ein Ort der Sage, der Reformation, der Geschichte?

In diesen Wochen ist auch Fußball ein Ereignis: Pokalfestspiele. Der VfR Wormatia 08 verpasste der Hertha aus der Hauptstadt schon den K.o. An diesem Dienstagabend (19.00 Uhr / Live im DFB-Pokalticker bei FAZ.NET) kommt nun der nächste, in die Zweitklassigkeit abgerutschte ehemalige deutsche Meister in das kleine Stadion an der Alzeyer Straße. Der 1. FC Köln fährt 300 Kilometer rheinaufwärts zum Regionalligaverein.

Sechs Länderspiele für die SGE

Die Fußball-Feststimmung weckt Erinnerungen an die dreißiger Jahre, als der Verein dreimal Gaumeister Südwest vor den großen Klubs aus dem Hessischen, Eintracht und FSV Frankfurt sowie Kickers Offenbach, war. Ein Straßenkehrer wurde damals zur Legende: Josef „Seppl“ Fath war nicht nur von Beruf Gassenreiniger in Worms, sondern auch Linksaußen der deutschen Nationalmannschaft. Seine beiden Tore zum 2:1-Sieg 1936 in Barcelona gegen Spanien waren an sich schon aller Ehren wert. Aber der „Seppl“ bezwang zweimal Ricardo Zamorra, den in jener Zeit berühmtesten Torwart der Welt. Eine Heldentat wie aus der Nibelungensage.

Der Bürgermeister beförderte Fath zum Aufseher seiner Zunft und schenkte ihm ein Fahrrad für die Kontrollfahrten durch die Stadt. Der 87 Jahre alte Frankfurter Sportjournalist Helmer Boelsen hat damals als Bub erlebt, wie „de Seppl“ immer wieder vom Rad steigen und von den beiden Toren berichten musste. Boelsen kann in rheinhessisch-pfälzischer Mundart die Schilderung amüsant nacherzählen: „Beim erste hat de blonde Fritz (Szepan) mich agespielt, und isch bin uff de Zamorra zu. Beim zwette hat de Lehner Ernst geflankt und isch hab die Pill aus de Luft genomme und obbe in de Dreiangel geschosse. De Zamorra hat die Pill gar net geseh.“

Seit der einstige Eintracht-Nationalspieler Ronald Borchers (sechs Länderspiele) vor zwei Jahren die Trainerstelle der Wormatia übernommen hat, ist Worms auf der Landkarte des Fußballs wieder eingetragen. Den Chef einer Werbeagentur in Heusenstamm, der zuletzt nur noch so nebenbei und Freunden zuliebe in die Bredouille geratene Mannschaften aus der Region trainiert hatte, erreichte eines Septembertages 2010 der Notruf aus Worms: Mit gerade mal drei Punkten aus neun Spielen stand Wormatia auf dem letzten Platz der Regionalliga Süd.

„Noch recht weit von dritter Liga weg“

Ronny kam daher wie Siegfried: Rang 12 in der Abschlusstabelle, Vierter der vergangenen Saison, Südwest-Pokalsieger 2012 und aktuell Fünfter der neue Regionalliga Südwest nach einer „Frankfurter“ Dreier-Siegesserie gegen FSV II, Eintracht II und Eschborn. Der Zuschauerdurchschnitt hat sich seit einem Jahr auf 1400 verdoppelt. Fünf Punkte fehlen aktuell zu einem Aufstiegsplatz. „Die dritte Liga ist zwar irgendwann das Ziel“, sagt Borchers. „Aber jetzt sind wir davon noch relativ weit entfernt.“

Ronald Borchers, mit der Eintracht Uefa-Cup-Sieger 1980 und Pokalsieger 1981 geworden, sitzt zum Frühstück in einem Heusenstammer Restaurant und schwärmt von Worms. „Der Zusammenhalt innerhalb der Stadt ist sensationell. Worms hat durch den Fußball eine veränderte Außendarstellung erlangt.“ Nach dem 2:1 gegen Hertha BSC stand Oberbürgermeister Michael Kissel plötzlich überglücklich wie nach einem Wahlsieg neben dem Trainer auf dem Platz. Flutlichtanlage für die nächste Pokalrunde? Kein Problem: Die Stadt streckte die 85.000 Euro für die Installierung im Schnellverfahren bis zum 30. Oktober vor. Das Heimspiel soll den Wormsern in Worms und nicht den Kölnern in Mainz gehören. Auch wenn nur 7203 Zuschauer im Stadion Platz finden, dessen Infrastruktur innen wie außen an die Zeiten „Seppl“ Faths erinnert.

Aber Borchers beklagt sich nicht. Ebenso wenig darüber, dass mit Oppermann, Dressler und Jabiri alle Stürmer seit Wochen verletzungsbedingt fehlen und noch lange ausfallen werden. Den Kader von nur noch 13 Spielern muss er mit Jugendlichen auffüllen. Borchers besitzt ein feines psychologisches Gespür für das Selbstbewusstsein eines Spielers und der Mannschaft. Das scheint sein Erfolgsrezept zu sein: „Ich vertraue denen, die spielen, und trauere nicht denen nach, die nicht spielen können.“

Heusenstamm-Worms, fast täglich

Fünfmal in der Woche fährt der Fünfundfünzigjährige von Heusenstamm nach Worms und zurück. Das sind jeweils zwei Autostunden am Tag und 80.000 Kilometer im Jahr. Zwei „tüchtige Mitarbeiterinnen“ halten derweil die Stellung in der Agentur. Er freue sich über seinen Entschluss zum Trainer-Comeback, denn dynamische junge Menschen im Präsidium mit zwei Anwälten an der Spitze, in der Geschäftsführung und der sportlichen Leitung machten das Arbeiten angenehm. Schon im Dezember 2011 hat Borchers „auf Drängen des Präsidiums“ seinen Vertrag bis 2014 verlängert.

Nun steht auch der gebürtige Frankfurter, ganz Wormser, im Bann des rheinhessisch-pfälzischen Pokalhits gegen den 1. FC Köln in der 82 000 Einwohner zählenden Stadt am Rhein. „Alles oder nichts. Wie im Fernseh-Quiz“, sagt er nonchalant. 108 000 Euro brachte die erste Pokalrunde, 258 000 Euro die zweite. Für die dritte Pokalrunde liegen 500 000 Euro im Fernsehtopf. Die halbe Million könnte dazu beitragen, dass alljährlich Nibelungen- und Fußball-Festspiele in Worms aufgeführt werden. Aber dazu muss erst eine zweite Pokal-Überraschung her. „Reine Kopfsache“, sagt Borchers. „Für uns und die Kölner.“