Kicker Sportmagazin | Wormatias Aktien haushoch gestiegen

09.03.1937

Letzter Sonntag — letzte Entscheidung
17000 am Bornheimer Hang
Ein großer Tag der Wormser

Ich zog die Vorhänge zurück, es schneite. Die Flocken kamen dick, wie Weihnachtsschnee auf alten Kalenderbildern. Die Autos hupten ängstlich durch den weißen Märzmorgen. Drei Stunden später war die Stadt verschlammt und vermatscht. Die Wormser rückten in hellen Scharen an. Der Sonderzug warf Fünfzehnhundert aufs Frankfurter Pflaster. Sie waren sehr ruhig. Das Wetter machte ihnen zu schaffen. Man glaubte, es müsse der Eintracht sehr zustatten kommen. „Die leichten Leute sind immer im Vorteil." Man vergaß, daß es im Fußball keine absoluten Weisheiten gibt. Dem Spiel war ein heftiger Kampf um den Austragungsplatz vorausgegangen. Wormatia wollte gern ins Sportfeld. Sie sagte sich, da draußen gebe es einige Tausend Zuschauer mehr und sie fand den weiten Abstand zu den Massen beruhigender. Die Eintracht sagte: „Nein. Wir bleiben am Hang. Der hat uns in diesem Jahr viel Glück gebracht, wir fühlen uns heimisch und außerdem sind wir es unseren Sportkameraden vom Fußballsportverein schuldig, daß wir ihnen ihren bescheidenen Anteil auch diesmal, wo der Andrang wirklich gewaltig sein wird, zukommen lassen." So geschah es und niemand wird der Eintracht verdenken können, daß sie ihren Vorteil wahrte. Nur wurde bei allen Diskussionen vergessen, daß die Wormatia längst keine Heimmannschaft mehr ist. Sie hat in diesem Jahr auswärts oft genug besser gespielt als zuhause.

Wormatia war kein Favorit

Vielleicht gewann sie deswegen. Sagte ich: gewann? Es rutschte mir aus der Maschine. Denn sie war der moralische Sieger dieses Tages. Niemand hat es bezweifelt. Kein Frankfurter, kein Eintrachtler. Wormatia spielte so schneidig, ihre Aktionen waren so zielbewußt, ihr Abwehrnetz war so stählern und elastisch zugleich gespannt und die Bedienung der Flügel war von einer so ungewöhnlichen Zweckmäßigkeit, daß es jedermann unter den 17.000 Leuten gänzlich korrekt gefunden hätte, wenn etwa Lehrs Lattenschuß oder einer der letzten Eckertschüsse in der Endphase des Spiels ins Tor gerutscht wäre.

Dabei spielte Wormatia wirklich ohne Busam. Aber es gab einige Ueberraschungen, die niemand erwartete. Das ausgezeichnete Platzhalten und Deckungsspiel Winklers und seine tadelfreien Abschläge. Die Beweglichkeit von Gölz, der trotz seiner stabilen Körperlichkeit verhältnismäßig sehr wendig war. Wogegen man schon halb und halb gewöhnt ist an Kiefers phantastisch schnelles und sicheres Abwehrspiel und an die außerordentliche Aehnlichkeit, die Hofmanns Spiel mit dem von Fath aufweist. Der Linksaußen steuert nicht soviel aufs Tor, aber auch er schießt mitunter überraschend und gut. Er trat auch den Wormser Treffer. Den anderen trat auch ein Wormser. Traurige Ironie des Geschicks wollte, daß dieser glänzende Verteidiger in einem Anfall von Verwirrung — er glaubte sich bedrängter, als er war — den Ball ins eigene Netz hob.

Ein großer Tag

Die Landschaft hat etwas Schweres, Lastendes. Es ging von dem fahlen Pappschnee dieses Märztages aus und von dem Himmel, der grau wie eine Schiefertafel war. Die Spannung über den Menschen war beinahe nicht zu ertragen. Man sah viele bekannte Gesichter. Metzner, der 400-m-Mann, ging mit einem fröhlichen Hüterl über die Bahn, Ludwig Müller winkte seine Mannschaft aus der Kabine, aus Hanau, Offenbach, von der Lahn her waren Omnibusse und Autos herangerollt. Man sah alle jenen, die nur kommen, „wenn wirklich was los ist". Die Treuen, die immer kommen, sind uns lieber. Es wurde viel gesprochen und auch bei der Presse blühte der Flachs. Im Ernst glaubten die meisten Leute an einen Eintrachtsieg.

„Der Kicker" tipte 3:3. Der Kampf endete 1:1. Im Effekt ist es das gleiche. Oh, danke sehr, keine Komplimente!

Eintracht nicht in der Verfassung,

in der man eine Meisterschaft an sich reißt. Die Elf war auf einigen Posten sogar außergewöhnlich schwach. Sie hatte in dem Läufer Knapp einen völligen Versager, in A. Hemmerich einen Linksaußen, der in den ersten fünf Minuten drei Chancen versiebte und der viel zu ungezogen spielte, um ein Lob zu verdienen und sie hatte in Monz einen Stürmer, der zwar neben Möbs noch der Beste, aber eben doch auch nicht so war, wie er gegen die Union spielte. Ich bin der Auffassung, daß Möbs großartiger denn je spielte und daß die zahlreichen Rekontres, die Adam Schmitt heraufbeschwört, daher kommen, daß er seine Dribbelkünste bis zum Exzeß betreibt. Immerhin riß ihn die Aufregung zu einigen Fouls hin, die wir gerade bei einem so talentierten Mann außerordentlich bedauern. Bei dieser Gelegenheit muß den Wormsern bescheinigt werden, daß sie zwar mit einer ordentlichen Unbekümmertheit kämpften und mit einem außerordentlichen Schneid, der nicht mehr zu übertreffen war, daß sie aber sehr selten die Grenzen der Fairneß überschritten. So hat Winkler nicht einen einzigen Strafstoß verschuldet, obwohl er zu den meistbeschäftigtesten Leuten gehörte.

Es gibt zwei Parteien in Frankfurt — nach diesem Spiel. Die einen sagen, Wormatia sei nur deshalb so groß in Schwung gekommen, weil Eintracht so ungewöhnlich schwach gewesen sei. Die anderen meinen, Eintracht sei auf einen Gegner gestoßen, dessen Spiel eine Reife erreicht habe, die keine Besiegung zuließ. Jede dieser Ansichten hat etwas für sich, tatsächlich hatte Wormatia die besseren Chancen und ihre Spieler waren teilweise von einem Trickreichtum, der erstaunte.

Die Wormser

Eckert. War er der beste Wormatiastürmer? Er war der Abgedeckteste. Fürbeth ließ ihn nicht entfleuchen. Er blieb ihm auf den Hacken, so sehr, daß er für die eigene Elf beinahe ausfiel. Aber wenn er das nicht getan hätte, dann wäre Wormatia zum Sieg gekommen. In den letzten Minuten, als Eckert das "Joch" abzuschütteln begann, war es ohnehin oft genug nahe dran. Der Kampf war im Ganzen eine Kleinigkeit zu hart, als daß man ihn ein „prächtiges Männergefecht" nennen könnte. Mildernd muß man zugeben, daß für die Eintracht mehr auf dem Spiel stand, als für die Wormser. Die Eintracht mußte gewinnen, wenn sie Meister werden wollte. Es war wie ein Zwang, wie ein Befehl. Aber ein Fußballspiel ist ein lebendiges Ding, das sich nicht kommandieren läßt. Eintracht wurde nervös, als Wormatias Führung offenbar nicht leicht auszugleichen war und sie wurde es noch mehr, als nach dem Selbsttor der Wormser die Wormatia nicht schlechter, sondern kaltblütiger und besser wurde.

Solche Kämpfe sind noch selten ein Zuckerlecken gewesen.

Nun zeigte sich doch, daß die alte Läuferreihe der Gramlich-Tiefel-Mantel besser war. Die alte Phrase, daß in der Mannschaft kein schwacher Punkt war und daß deshalb keiner besonders hervorzuheben sei, trifft diesmal auf Wormatia haargenau zu. Jene Winzigkeit, die von entscheidender Bedeutung sein kann, waren aber Winkler, Eckert, Hofmann, Lehr und vor allem Kiefer doch großartiger als ihre glänzenden Kameraden.

Ich habe es noch nie erlebt, daß eine Menschenmenge von fast Zwanzigtausend in solcher Lautlosigkeit und Niedergedrücktheit abzog, wie die Menschen nach diesem Spiel. Frankfurt hatte sich gefreut. Es sah nach Jahren eine Meisterschaft winken. Die Hoffnung schwand wie der Märzschnee, der in dicken Regentropfen zerschmolzen wurde. Nicht einmal die Wormser Schlachtenbummler glühten vor Glück. Dazu hatte ihre Mannschaft in den letzten Minuten zuviel danebengeschossen.