Auch wenn es nach zwei Saisons im Abstiegskampf 1968/69 mit Tabellenplatz 8 wieder besser lief, die alten Probleme blieben und verschärften sich zusehens. Finanziell war man in einem Teufelskreis gefangen. Erfolgloser und unattraktiver Fußball lockte keine Zuschauer, ohne deren Eintrittsgelder die Mannschaft aber nicht verbessert werden konnte. Im Gegenteil, mit Wolfgang Belzer (aus finanziellen Gründen nach Neunkirchen) und Rainer Jung (zurück nach Biblis) musste man nach der Saison sogar zwei schwerwiegende Abgänge verkraften, hatten die beiden doch zusammen 31 der 49 Saisontore erzielt.

Die Folgesaison 1969/70 begann mit einem Paukenschlag: Die Stadt kündigte dem VfR fristlos die Nutzung des (nach dem Krieg städtischen) Wormatia-Stadions, der Rasen durfte nur noch alle zwei Wochen mit Sondergenehmigung betreten werden. Grund war der nach dem Tod des langjährigen Platzwarts Becker eingetretene Schlendrian, mehrfach waren die Türen zu den Kabinen nach dem Training nicht abgeschlossen worden, die ganze Nacht lang brannte Licht. Auch wenn man das gar nicht abstritt, die Art und Weise der Kündigung stieß auf helle Empörung. Ohne Ankündigung beispielsweise räumte die Stadt den Geräteraum aus, stellte die Waschmaschine und Schränke mit Trikots und Bällen unsanft auf den Flur. Der Wormatia-Vorstand war stocksauer, immerhin zahlte der Verein alle Strom- und Wasserkosten, auch wenn die Schulen das Stadion nutzten. Man drohte geschlossen mit Rücktritt, ein Ausweichen nach Frankenthal stand im Raum. Nach dreistündigem Krisengespräch mit Oberbürgermeister Kuhfuß und Bürgermeister Hirschbiel kam es jedoch zur Einigung, die Kündigung wurde zurückgenommen und ein neuer Mietvertrag ausgehandelt. Sportlich ging der Blick wieder nach unten. Mit Franz Wolny vom Bonner SC, der 20 Saisontore erzielte, fand sich zwar formidabler Ersatz für die Offensive, dennoch waren die Leistungen nicht sonderlich attraktiv. Trainer Karl-Heinz Schmal wurde zum Jahreswechsel entlassen, unter Nachfolger Fritz Schollmeyer stand am Ende Tabellenplatz 11.

Im Mai 1970 kam es schließlich aufgrund der sportlichen Durststrecke und insbesondere der dadurch angespannten Finanzsituation zum großen Knall. Rund 90.000 Mark Schulden hatten sich angesammelt, heftige Meinungsverschiedenheiten zwischen Vorstand, Trainer und Mannschaft bezüglich der sportlichen Perspektiven führten zu einer schweren Krise und zum letztlich reinigenden Umbruch. Der 1. Vorsitzende Hans Walter Stein trat nach dreizehn Jahren wegen „jahrelanger Angriffe und Vorwürfe“ auf seine Person zurück. Trainer Schollmeyer hatte sich mit Stein und Spielausschussmitglied Christian Bub verkracht und kündigte seinen Vertrag mit Hinweis auf die fehlende Perspektive. Das taten auch die Stammspieler Siegbert MartinHeino de HaasJürgen Saile (der es sich dann doch noch anders überlegte) und insbesondere nach acht Jahren und 177 Spielen auch Klaus Gleim. Der langjährige Verteidiger hatte sich zuvor sogar eine tätliche Auseinandersetzung mit einem Vorstandsmitglied geliefert. 

Der neue Wormatia-Vorstand ab Juni 1970 (von links): Sportausschuss-Vorsitzender Dieter Dörsam, Spielausschuss-Vorsitzender Christian Bub, Kassenwart Klaus Busch, 1. Vorsitzender Dr. Hansjosef Matheis, 2. Vorsitzender Helmut Müller und Protokollführer Ernst Neidig

In einer angesichts der Situation erstaunlich ruhigen und erfreulich sachlichen Mitgliederversammlung wurde schließlich ein neuer Vorstand gewählt. 1. Vorsitzender wurde Diplom-Betriebswirt Dr. Hansjosef Matheis, 2. Vorsitzender Helmut Müller (nicht zu verwechseln mit dem langjährigen Stürmer), Spielausschussvorsitzender Christian Bub (für Fritz Fries). Ziele für die Zukunft waren die Verbesserung der Finanzlage, der Spielstärke der Mannschaft und der Beziehungen von Vorstand zu Mannschaft, Wirtschaft und Behörden. Einen ersten finanziellen Erfolg gab es schon wenige Monate später: Endlich erlaubte die Stadt Bandenwerbung im Stadion. Dafür musste zwar die hübsche umlaufende Buchsbaumhecke weichen, die Werbung brachte der Stadtverwaltung aber jährlich 20.000 Mark ein. Das kam dem Verein zunächst nur indirekt über die dringend notwendige Renovierung der Tribüne zu Gute.

Erste Maßnahme für die anstehende Saison 1970/71 war die Neubesetzung der Trainerbank. In den rumänischen Coach Virgil Popescu setzte man einige Erwartungen, vier Jahre zuvor stand dieser noch als Co-Trainer von Partizan Belgrad im Finale des Europapokals der Landesmeister gegen Real Madrid. Sein Engagement in Worms dauerte jedoch nur zwei Monate und endete auf tragische Weise, als nach ärztlicher Untersuchung ihm das Gesundheitsamt aufgrund einer Lungenerkrankung die Aufenthaltsgenehmigung verweigerte. Popescu, dessen Familie gerade erst in der Vorwoche die Wormser Wohnung bezogen hatte, musste Deutschland verlassen. Stattdessen engagierte man Milan Nikolic, der zweieinhalb Jahre lang den 1.FC Saarbrücken trainiert hatte. Im Ergebnis stand eine Saison in ständigem Kontakt zur Abstiegszone und letztlich Tabellenplatz 12 zu Buche, mit 1.600 Zuschauern pro Spiel war das Stadion so leer wie noch nie.

Doch die Talsohle war erreicht, von nun an sollte es bergauf gehen. Um voran zu kommen, musste man etwas riskieren und verstärkte entsprechend die Mannschaft. Dr. Hansjosef Matheis erläuterte die neue Marschroute in einer „Standortanalyse des Vorsitzenden“ im neu aufgelegten Vereinsheft namens „Vereinsnachrichten“:

„Das durch die Neuerwerbungen eingegangene finanzielle Engagement ist groß und für die Verantwortlichen auch in den kommenden Jahren das Hauptproblem. Ein Problem, das sich erst dann zur vollsten Zufriedenheit lösen lässt, wenn unser Ziel erreicht wird. Wir sind dieses Risiko eingegangen, weil wir überzeugt sind, daß die Wormser Fußball-Freunde unsere Entscheidung honorieren werden und zu unseren Spielen kommen. Wir haben diese Verantwortung auf uns genommen, weil wir glauben, damit an die alte Wormatia-Tradition anknüpfen zu können, guten und besseren Fußball zu demonstrieren.

Sicher mit den Zeiten haben sich auch die Verhältnisse geändert. Wir alle haben eingesehen, daß der bezahlte Fußball unumgänglich ist. Wir akzeptieren ihn auch, glauben aber, daß das gegenwärtige System nicht optimal ist. Die gegenwärtige Struktur ist einfach unvollkommen, die Leistungsunterschiede der Bundesliga zur Regionalliga zu groß. Eine Revision scheint unumgänglich.
Für uns ergibt sich die Konsequenz, aus der gegenwärtigen Situation das Bestmögliche zu machen. Dem ausgezeichneten Image, das wir trotz der nicht gerade hervorragenden Ergebnisse der letzten Jahre noch haben, durch sportliche Erfolge gerecht zu werden. Die Zeichen sind gesetzt. Nun heißt es handeln.“

Vereinsnachrichten Nr. 1/1971, S. 1f